11. November 2011

Tibetische Einblicke

Endlich nach drei Wochen raus aus den Großstädten und rein ins Reiseabenteuer: Berge und blauen Himmel schauen, endlose Busfahrten auf buckligen Pisten rauf auf das tibetische Plateau von Kangding nach Litang, technisierte Mönche, nette Tibeter und tibetische Singstars, ein mir bisher unbekannter praktischer Umgang mit dem Tod und tolle Mitreisende.
  
KANGDING 


Nach ungefähr fünf Kungfu-Filmen im Bus war es endlich so weit: Natur und blauer Himmel. Kangding ist mit über 100.000 Einwohnern eine, wie ich fand, recht große Stadt auf 2600m, die immer weiter ins Tal des tibetischen Plateau gebaut wird. In den Reiseführern wird sie als Einstiegstor in die tibetische Welt beschrieben. Von Chengdu nach Kangding hatte ich mit dem Bus in nur wenigen Stunden über 2000 Höhenmeter erklommen und die nächsten Tage sollte es noch höher gehen, auf über 4000m mit Passüberquerung per Bus an fast 5000m kratzend.


LITANG
Litang, Geburtsstadt des siebten Dalai Lamas, in der autonomen tibetischen Präfektur Garze, im Nordwesten der chinesischen Provinz Sichuan, ist auf 4000m des tibetischen Plateaus gelegen. Im Sommer mit Gras überzogen, besticht diese Ebene im Winter durch ihre karge Schlichtheit. Alljährlich im Sommer fand hier ein Pferdefestival statt - muss unglaublich schön ausgesehen haben - bis 2007 die chinesische Regierung aufgrund politischer Unruhen es verbat. Kleinere Pferdefestivals finden in den Dörfern um Litang aber weiterhin statt. 

Die chinesische Polizei ist allgegenwärtig. Fährt auf der einzigen Hauptstrasse auf und ab mit Lautsprecheransagen, man solle nicht stehen bleiben, um Ansammlungen zu verhindern.
Trotz der ungefähr 50.000 Einwohner, (Exil) Tibeter und Han Chinesen, wirkt Litang recht dörflich, aber mit reger Geschäftigkeit auf der Hauptstrasse. Ein von mir automatisch gelächeltes "ni hao" beim Betreten von Imbissrestaurants und Geschäften bleibt unbeantwortet. Ja ich bin in Tibet, wenn auch nicht im "offiziellen". Die Menschen hier unterscheiden sich sehr von den bisher gesehen Chinesen: Groß, im modern-traditionellen Mix gekleidet. Vor allem imponiert mir die sehr aufrechte und stolze Haltung der Frauen. Sie tragen eine Art Cowboyhut, wenn sie verheiratet sind. Die Jugend hier trägt wie auch überall in China gesteppte "Daunen"jacken mit der regionalen Besonderheit Basecaps mit geradem Schild auf dem oberen Achtel des Kopfes zu "balancieren". Einige tibetische Männer tragen langes Haar, geflochten auf den Kopf gelegt.

Es ist kalt. Mein Rucksack ist so leicht wie noch nie. Ich trage alles an mir was ich habe. Morgens sind die Scheiben unserer Unterkunft von innen gefroren. Heizung oder Feuerstellen sind hier sehr rar. Woher soll auch Heizbares kommen, in dieser baumlosen Landschaft. Die tibetischen Häuser wirken wie Trutzburgen, massiv mit farbfrohen Eingangstüren und Fenstern. Was sehr erstaunt: Das Foto vom Dalai Lama hängt in vielen Restaurants. In Tibet sind sie verboten.






LITANG CHÖDE KLOSTER

Im 16. Jahrhundert wurde das Kloster erbaut und dem damaligen dritten Dalai Lama gewidmet. Während der Kulturrevolution litt es sehr. In den letzten Jahren wurde begonnen die Gebäude zu erneuern. Als wir das Klostergelände betreten, winkt uns ein Bauarbeiter fröhlich heran und macht uns per Handzeichen verständlich, dass wir ruhig in alle Gebäude hineinschauen dürfen...



Ein besondere Begegnung beschert uns Tadhg's Jacke. Kurzer Einschub an dieser Stelle: Tadhg (sprich Teig), aus Irland und seit über zwei Jahren arbeitend in Australien und reisend in Asien unterwegs, hatte ich am letzten Abend im Hostel in Chengdu kennengelernt. Zufällig traf ich ihn morgens sechs Uhr am Busbahnhof in Kangding; was mich sehr freute, denn Unterhaltung kann bei einer zwölf Stunden Busfahrt nicht schaden. Dazu später aber mehr. Tadhg ist - sehr gewagt - ohne Jacke auf das winterlich tibetische Plateau gereist und brauchte natürlich nun etwas ordentlich Wattiertes. Die Wahl fiel - zwischen traditionell tibetischem Mantel und einer "The Orthe Face" Jacke (in China ist augenscheinlich weniges echt) - auf ein sportlich gelbes Modell.

Und eben diese gelbe Jacke gefällt einem Mönch sehr und gibt Anlass zur Kontaktaufnahme. Uns gefallen seine gelben Sneakers und wir zeigen uns beeindruckt von seinem kleinen Tablettouchscreen, den er in den Händen hält. Es folgt ein kurzes in Sprache unverständliches Gespräch zwischen den Männer über ihre technischen Gadgets und Tadhg beginnt dem Mönch ein paar Fotos zu zeigen. Der Mönch gerät - auf mönchische Art - völlig in Verzückung, als er die Pandafotos sieht. Er möchte sie unbedingt haben. Wir versuchen Emailadressen auszutauschen, was uns bei ihm nicht abwegig erscheint. Unser Vorschlag bleibt unverstanden. Statt dessen schreibt er in mein Notizbuch Panda in tibetisch und andere Wörter.

Aber er möchte unbedingt die Pandabilder, gestikuliert er seinen Wunsch. Wir folgen ihm in seine kleine Kammer, die er sich offensichtlich mit noch einem Mönch teilt. Sein Handy hängt am Ladegerät und Tadhg muss mit seiner Kamera heranrücken, damit der Mönch die Pandabilder vom Bildschirm mit seinem Handy abfotografieren kann. Am Ende darf ich ein Foto von ihm machen. Die Pose und Bildperspektive ist ihm sehr wichtig: Mit Handy am Ohr und vor dem Bild des Dalai Lamas und  - ich vermute es, aber ich reise so ungebildet - des Penchen Lamas (der offiziell tibetische Dalai Lama Nachfolger und nicht der, der von der chinesischen Regierung ernannt wurde).




SINGSTARWETTBEWERB MIT ANDÄCHTGER STIMMUNG

An unserem zweiten Nachmittag, in einer Art Bäckerei spricht uns auf Englisch ein Mädel an. Sie hätte uns gestern schon gesehen und möchte uns in das Teehaus ihres Bruders mitnehmen. Der erfahrene Reisende befürchtet an dieser Stelle eine Übers-Ohr-hau-Situation; doch warum nicht, vielleicht gibt es dort neben Tee auch etwas Wärme. 

Gemeinsam mit dem Mädel (ich weiß ihren Namen leider nicht mehr und sie hatte keinen englischen/französischen "fake" Namen wie die meisten Chinesen. Englisch lernte sie in der Schule in Indien, wo viele Tibeter im Exil leben bzw. ihre Kinder hinschicken), Tadhg und Ferj - Philippiner, bereits in Kangding im Hostel kennengelernt und für Litang in der gleichen Unterkunft verabredet - wird es ein gemütlicher Nachmittag mit Gesprächen und Kartenspielen mit Tibetern. 

Abends lädt sie uns zu einem Singstarwettbewerb ein. Wir freuen uns: Tibetische Party, wir sind dabei. Die "Party" ist jedoch sehr ruhig und andächtig. Nacheinander tretten junge Männer vor einem grossen Bild des Potala Palasts in Lhasa auf und singen jodelnd-trillernd zu Musik aus der Anlage oder begleiten sich mit der Gitarre. Immer wieder kommen Männer aus dem Publikum auf die Bühne, hängen den Sängern Seidenschals um den Hals. Um Respekt zu zollen, wie wir erfahren. Erfürchtig wird dem Text gelauscht, an Cola, Eistee oder Bier genippt. Plötzlich, ohne dass es musikalisch intendiert ist, klatscht das Publikum mitten im Lied. Auch hier werden wir aufgeklärt: Der Sänger preist dem Dalai Lama. Nach dem Singstarwettbewerb, der nicht wirklich ein Wettbewerb ist, treten die Sänger kostümiert in Rollenspielen auf. Es ist lustig, auch wenn ich nichts verstehe.



SKY BURIAL - HIMMELSBEGRÄBNIS

Nicht nur das lustige Leben erfährt man auf Reisen. Der Umgang mit dem Tod in der tibetischen Kultur war mir völlig unbekannt. Er hat wenig mit dem konservierenden und sorgfältigen Umgang mit dem Toten in unser Kultur zu tun. Deswegen sei an dieser Stelle die seichten Gemüter unter euch etwas gewarnt.
Während bei uns Menschen in der Erde begraben werden oder verbrannt, findet hier das Begräbnis unter freiem Himmel statt. Unter freiem Himmel meint jedoch mehr. Das Leichenhaus ist meist ein Hügel auf dem der tote nackte Körper gelegt wir, wo er der Natur und damit den Aasgeiern und anderen Tieren preisgegeben wird.

Diese Bestattungspraktik ist zum einen im wörtlichen Sinn die Praktikabelste. Denn in dieser kargen Region, oberhalb der Baumgrenze, gibt es kein Feuerholz. Der Boden ist die meiste Zeit des Jahres gefroren. Tote können nicht begraben oder verbrannt werden. Zum anderen sind die Tibeter überwiegend Buddhisten.
Der Buddhismus lehrt die Wiedergeburt. Der Körper wird lediglich als Hülle betrachtet, die die Seele durch die Welt trägt. Der Mensch ist Teil des natürlichen Kreislaufs und bleibt durch diese Art des Begräbnisses Teil dessen: Entweder der Körper verrotet oder - wenn der Mensch auch Tiere ist - wird er von Tieren gegessen.

Eigentlich eine schöne Praktik wie ich finde. Trotzdem fühle ich mich nicht gut bei dem Gedanken es zu erleben und will mich erst an dem Tag eines Begräbnisses entscheiden, ob ich es sehe oder nicht. Der Tod ist für mich doch eine sehr private Sache, hier jedoch eine öffentliche Angelegenheit. In der Nacht davor schlafe ich nicht gut. Zu brutal und blutig sind meine (Film)Träume. Was in Realtiät nicht der Fall sein soll, da Blut nach dem Tod gerinnt. Am nächsten Morgen haben auch Tadhg und Ferj nicht gut geschlafen. Keine schlechten Träume eher Magen-Darm-Probleme, so dass beide nicht aufstehen können und wollen. Ich bin ganz froh. Mir erscheint es zu voyeuristisch mich für einen bestimmten Geldbetrag hinfahren zu lassen. Auch wenn uns beteuert wurde, dass es absolut kein Problem ist, ja normal sei es im gebührenden Abstand zu beobachten.

Am Nachmittag wandern Tadhg und ich zum Begräbnishügel, weil wir doch etwas neugierig sind. Von weitem sieht man die Geier noch um den Hügel fliegen oder träge rumhängen. Am Hügel realisiere ich, dass die weissen Sprenkel keinen Steine sind, sondern ich auf Knochen laufe. Ich spüre keinen Ernst, sondern stehe hier auf dem Hügel, die Sonne scheint, blauer Himmel, natürliche Stille und es erscheint mir das normalste der Welt.


Ich hab es mir nur erzählen lassen wie ein solches Begräbnis stattfindet: Zuerst wird der nackte tote Körper den Aasgeiern überlassen. Nach nur wenigen Minuten bleibt nichts als Skelett übrig. Mit einer Axt und Scheren wird dieses nun von einem "Bestattermönch" weiter zerkleinert, bis nur noch Knochensplitter vorhanden sind. Wer sich für genauere Beschreibungen interessiert, kann hier oder hier nachlesen oder google fragen.



Fotos: fräulein fischbeck

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